Deutsch-Deutsche Erinnerungskulturen

 

 

„Wir sind ja Deutsche, wir haben die ganzen Diskussionen erlebt, wir wissen, was wir vom Holocaust und Auschwitz halten. Dass die deutsche Vergangenheit im 20. Jahrhundert aus 2 Staaten besteht und damit 2 Geschichtsschreibungen beinhaltet, wird genauso häufig verdrängt, wie es vermieden wird über das Thema Holocaust eingehend nachzudenken, eigene Positionen außerhalb von vorgegebenen Floskeln zu entwickeln."
Katja Kahle / Sandra Schramm


BRD

„[...] dass in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit starke Tendenzen bestanden, die faschistischen Gräueltaten auszublenden bzw. sich auf Befehlsnotstände zu berufen. Grundsätzlich wird von den Seminarteilnehmern die Frage diskutiert, inwieweit eine Unabhängigkeit des Richters gegeben ist. Dieser Einwand scheint unter Berücksichtigung der Tatsache, dass etliche Richter aus der Nazizeit strafrechtlich unbehelligt nach wie vor in der Bundesrepublik der sechziger und siebziger Jahre tätig waren und somit ein antifaschistischer Neuanfang in der Justiz überhaupt nicht oder nur in geringem Maße stattfand, berechtigt."
Viviane Bebert / Anja Seege / Ramona Zühlke


„Diese Phase, in der die Grundlagen für die Erinnerungskultur der BRD gelegt wurden, wurde also nicht bestimmt von kritischen Stimmen, sondern von der Generation der Kriegsteilnehmer. Geschichten deutscher Opfer wurden also zu einem zentralen Moment in der Herausbildung eines neuen deutschen Selbstverständnisses. Damit einher ging die Konstruierung einer Grenze zwischen der deutschen Gesellschaft und dem Nationalsozialismus, was sich durch Abwälzung der Schuld und Kriminalisierung von Einzeltätern vollzog."
Alexa Friedrich / Annika Schönstädt


„Ereignisse, die wirklich zu einem Wandel des öffentlichen Bewusstsein in Bezug auf den Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit führen, waren der Eichmann-Prozess, die Auschwitz-Prozesse (1963-1965) sowie die US-Serie 'Holocaust' (1979)."
Alexa Friedrich / Annika Schönststädt


DDR

„Der Umgang mit dem Faschismus in der DDR erfolgte auf eine Weise, die den Gründungsmythos der DDR unterstützte. Das bedeutete, dass man auch in der Literatur großen Wert auf die Darstellung des kommunistischen Widerstandes, des Antifaschismus und der Befreiung vom Faschismus durch die Rote Armee legte. Hierbei wurde den Opfern des Faschismus, die keine kommunistischen Helden waren und den Juden im Besonderen, kaum Beachtung geschenkt. (Vgl. Flacke & Schmiegelt 2004: 172-189)."
Christina Bismark


„Um sich als antifaschistischer Staat Legitimität zu verschaffen, begann schon unmittelbar nach Ende des Krieges in Potsdam-Babelsberg und in Berlin-Adlershof die Wiederaufnahme der Filmproduktion. Filme wie Die Mörder sind unter uns (1946) oder Rotation (1949) wiesen auf die Verstrickung der Deutschen in die Verbrechen des 'Dritten Reiches' explizit hin, zeigten auf, dass die Problematik über Bekenntnis oder Verweigerung zum System quer durch Familienverbände ging. Sie zeigten aber auch an Hand von ersterem Film, wie es viele Menschen fast übergangslos von einem zum anderen politischen System geschafft haben, sich anzupassen."
Isabell Peuker / Markus Scharrer


Beide DEUTSCHE STAATEN bis 1989

„Für die erste Phase von 1945 bis 1955 wurde die Überschrift „Verdrängung der Bilder" gewählt. In dieser Phase war ein kontinuierlicher Rückgang der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Holocaust seit 1945 in den Tages- und Wochenzeitungen zu beobachten. Nur ein Prozent der Berichterstattung befasste sich mit dem Nationalsozialismus, wobei vor allem deutsche Kriegsgefangene und die Kriegsverbrecherprozesse im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen. Zudem konnten oder wollten viele Deutsche die in den Konzentrationslagern begangenen Verbrechen nicht glauben. Ein Beispiel hierfür waren die im Juli 1946 in Heute veröffentlichten Aufnahmen aus Konzentrationslagern, die von vielen Deutschen als amerikanische Gräuelpropaganda aufgefasst wurden [...] In Filmen wurden NS-Verbrechen nur vereinzelt visualisiert. [...] Die Zustimmung für die [Nürnberger] Prozesse sank von 78% im Jahr 1946 auf 17% im Jahr 1949.
Während in der DDR sehr früh der Mythos vom kommunistischen Widerstand in den Konzentrationslagern ins Leben gerufen und damit die Schuldfrage zurückgewiesen wurde, wurde in der BRD die Schuld auf 'Einzeltäter' abgewälzt.
Die zweite Phase von 1955 bis 1960 ist die Zeit der 'Rückkehr der Bilder'. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wurden die NS-Verbrechen, vornehmlich in Prozessberichten, wieder thematisiert und mit Fotografien zum Holocaust das visuelle Schweigen durchbrochen. In dieser Zeit wurden zudem die Bilder des zweiten Weltkrieges zu Unterhaltungszwecken mit Landserheften, Kriegsfilmen und illustrierten Tatsachenberichten vermarktet. Die 1948 einsetzende Kriegsfilmwelle, überwiegend mit Filmen aus den USA, fand in dieser Zeit ihren Höhepunkt und stieß vor allem bei Jugendlichen auf großes Interesse.
Erst in der dritten Phase der 'Politisierung der Bilder' von 1960 bis 1970 fand eine tiefere Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus statt.
Als Fazit lässt sich feststellen, dass die Erinnerung an den Holocaust in beiden Staaten in den 50er Jahren geprägt war von einer Schuldabwälzung auf bestimmte Personen und Eliten. Während in den folgenden Jahrzehnten in der BRD allmählich eine Aufarbeitung und teilweise eine Anerkennung der Schuld stattfand, wurde in der DDR bis zu ihrem Ende jegliche Schuld zurückgewiesen und der Holocaust als Folge des ins Extrem getriebenen Systems kapitalistischer Strukturen dargestellt."
Isabell Peuker / Markus Scharrer


„Im aufkommenden Kalten Krieg der zwei Supermächte USA und UdSSR, welcher die Zukunft Europas für die nächsten vierzig Jahre bestimmen sollte, brauchten beide Kontrahenten Alliierte, welche sie auch unter den ehemaligen Kriegsfeinden suchten. Kontinuitäten auf politischer, wirtschaftlicher wie militärischer Ebene in den 1949 gegründeten beiden deutschen Staaten, BRD und DDR, belegen dies. Wenn auch die offizielle Propaganda der Staatsführung der DDR den Antifaschismus zum Staatsziel erklärt hatte, und dies durch mehrere Schauprozesse zu unterstreichen versuchte, so belegen Akten nach der Wiedervereinigung eine andere Wahrheit. Im Westen nahmen es die Entnazifizierer dann mit der Unterscheidung zwischen Tätern, Belasteten und Mitläufern auch nicht sehr genau."
Isabell Peuker / Markus Scharrer


„Es geht bei der deutsch-deutschen Identität nach 1989 darum eine 'wiedervereinte, geschlossene Gestalt' derselben zu finden."
Katja Kahle / Sandra Schramm